Institutional Money, Ausgabe 3 | 2024

gibt, den wir als Kapital bezeichnen. Die Regierungen wer- den in Krisenzeiten stärker in die Verteilung dieses Kapitals eingreifen und bestimmen, wohin es fließen soll. Unsere Ersparnisse werden also einer stärkeren staatlichen Kontrolle unterliegen. Das wird in einer Industriepolitik, wie sie bei- spielsweise schon von Präsident Macron aktiv diskutiert wird, zunächst vor allem für den Besitz von Staatsanleihen gelten. Der Macron’sche Ansatz geht aber über den Kauf von Staatsanleihen hinaus. Es läuft letztendlich alles auf eine Finanzierung bestimmter Wirtschaftszweige hinaus. Die Geldpolitik, die Ende des vergangenen Jahrhunderts von den Regierungen an unabhängige Zentralbanken abgege- ben wurde, wird zu den Regierungen zurückkehren, die dann die oberste Instanz für die Geldpolitik sein werden – also für Preis und Menge des Geldes. Ein kalter Krieg mit China wird diese Entwicklung beschleunigen.Diese Art von finanzieller Repression wurde bisher aber noch nie erfolg- reich ohne eine Form von Kapitalverkehrskontrollen zur Einschränkung des freien Kapitalverkehrs durchgeführt. Das wird also auch kommen. Sie schießen sich recht spezifisch auf Präsident Macron ein … Russell Napier: Ich denke, es lohnt sich wirklich, die Rede von Präsident Macron vom 20. April an der Sorbonne zu lesen, in der er klar ausführt, was aus seiner Sicht politisch unternommen werden muss. Er skizziert – ich glaube, es sind fünf – Wirtschaftssektoren, in denen die Regierung den Privatsektor manipulieren oder zwingen muss, zu finanzie- ren. Mitten in dieser Rede gibt es diese Aussage, in der er sagt, es sei absurd, dass französische Sparer die amerikanische Regierung finanzieren. Das ist Kapitalnationalismus. Das bedeutet, dass wir bereits in diese neue Ära der Finanzrepres- sion eingetreten sind? Russell Napier: Nein, so weit sind wir noch nicht. Wir sind noch nicht in diesem Stadium. Aber der Grund, aus dem ich fürchte, dass wir genau auf diese Politik zusteuern, liegt in unser aller Erfolglosigkeit: Wir waren im Bereich der erneuerbaren Energien erfolglos. Wir waren im Bereich unserer heißen Kriege nicht erfolgreich. Das muss alles auf eine ganz andere Ebene gebracht werden. Ich verstehe Ihren Standpunkt, aber man könnte argumentieren, dass es für Regierungen eigentlich bequemer ist, die gesamte Ver- antwortung für Kapitalkontrollen und dergleichen auf die Zen- tralbanken abzuwälzen. So können sie sagen: „Okay, das ist die Zentralbank, nicht wir“, was in der Vergangenheit ja auch gesche- hen ist. Auch in der Zeit nach der großen Finanzkrise wurde vieles den Zentralbanken übertragen, und die Regierungen schienen damit nicht unglücklich zu sein … Russell Napier: Wenn Präsident Macron öffentlich sagt, wir sind zurück im Geschäft der Industriepolitik, wird er diese Vorhaben finanzieren müssen. Und er wird sie über das Bankensystem finanzieren. Die Staatsschuldenquote Frank- reichs liegt bei etwa 105 Prozent. Frankreich braucht also Finanzierung.Wenn man die Banken zwingt oder ermutigt, Kredite dafür zu vergeben, wie wir sie ermutigt haben, für Covid Kredite zu vergeben, wird man ein viel höheres Wachstum der Geldmenge bekommen. Was bedeutet das konkret für die Rolle der Notenbanken? Russell Napier: Die Quintessenz ist, dass derjenige, der die Bilanzen der Geschäftsbanken kontrolliert, in Wirklichkeit die Währungsbehörde ist. Der Status quo ist, dass die Zen- tralbanken versuchen, durch Zinsanpassungen das Wachs- tum der Bilanzen der Geschäftsbanken zu kontrollieren, aber sie haben dabei einen wirklich schlechten Job gemacht. Meiner Ansicht nach werden also die Regierungen diese Rolle übernehmen. Und sobald das geschieht, sind sie inhä- rent im Geschäft der Geldpolitik. Die beiden Dinge sind also miteinander verbunden. Die Regierungen brauchen eine höhere Inflation, sie brauchen ein höheres nominales BIP-Wachstum. Aber um die Industriepolitik zu finanzieren, brauchen sie vor allem mehr Kreditwachstum der Banken. Wenn man diese Dinge zusammenbringt, bleibt kein Raum für die Zentralbank, weil die Regierung diese Kredite aus 48 N o . 3/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Russell Napier | ERIC; Library of Mistakes FOTO: © BRENDAN MACNEILL » Ich denke, es lohnt sich wirklich, die Rede von Präsident Macron vom 20. April an der Sorbonne zu lesen (…). Das ist Kapitalnationalismus. « Russell Napier, Finanzhistoriker und u. a. Gründer der „Library of Mistakes“

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