Institutional Money, Ausgabe 3 | 2024

nieren. Aber der Schatzkanzler sieht das ganze Bild und muss dem Premier erklären: „Natürlich können wir das tun. Aber bei einem derartigen Zinsniveau werden wir eine massive Deflation haben.Wir werden eine riesige Rezession haben. Viele Menschen werden bankrottgehen. Wenn wir wiedergewählt werden wollen, müssen wir den Wechsel- kursmechanismus verlassen und den Währungskurs nicht mehr anvisieren.“ Die Analogie greift natürlich in gewisser Weise zu kurz, da Xi Jinping keinen Wahlkampf bestreiten muss. Aber es gibt einen Zeitpunkt – selbst für einen Dik- tator –, an demDeflation, Rezession und eine hohe Arbeits- losigkeit die politische Stabilität bedrohen. Vorausgesetzt, es gibt keinen heißen Krieg, keine Katastrophe, aber auch vorausgesetzt, dass diese Währungsbindung aufgelöst wird und wir sozusagen …Ich weiß, Sie mögen keine Extrapolationen – aber lassen Sie uns das mal für die nächsten paar Jahre tun. Sagen wir also, in zwei Jahren wird diese Bindung aufgelöst.Was wären die unmittelbaren Folgen für Europa? Russell Napier: Ich mache normalerweise keine kurzfristigen Prognosen, aber ich denke, es ist richtig zu sagen, dass dies in zwei Jahren passieren muss, weil China so nicht weiter- machen kann. Ich denke also, es ist korrekt, wenn man sagt, dass der chinesische Renminbi insgesamt sinken wird, weil Peking die Druckmaschinen anwerfen wird. Jetzt könnte man natürlich denken, dass eine große Welle billiger chine- sischer Produkte in unsere Richtung fließen wird. Das wird aber nicht passieren, weil Drittstaaten die Zölle anheben werden, um den neuen Währungskurs zu konterkarieren. Zollanhebungen – das klingt nicht unvertraut … Russell Napier: Korrekt. Allerorten werden jetzt schon die Zölle erhöht, um China weniger wettbewerbsfähig zu ma- chen. Und das wird so weitergehen. Die Abwertung des Yuan wird wie ein Startschuss für die nächste Phase des kalten Krieges wirken.Diese Phase wird aggressiver sein und ironischerweise auf mehr Inflation hinauslaufen, weil es so viele Dinge gibt, die wir derzeit aus China beziehen, die wir dann aber einfach nicht mehr kaufen werden, weil wir uns von Chinas Angebot abkapseln. Und in einem solchen Szenario landen wir sehr schnell beim Thema Notfallfinan- zierung und Finanzrepression. Sie meinen Maßnahmen, die Staaten in der Vergangenheit in Kriegsfällen gesetzt haben, also beispielsweise die Ausgabe und der verpflichtende Kauf von Kriegsanleihen …? Russell Napier: Ja, und das mit all seinen Auswirkungen – und übrigens nicht nur aus dem schwelenden China-Kon- flikt heraus. Ich denke da beispielsweise auch an die Klima- krise und soziale Notstände. Vor diesem Hintergrund muss man sich daran erinnern, dass es weltweit einen Sparpool Der Bibliothekar Russell Napier ist ein schottischer Finanzanalyst und Wirtschafts- historiker. Nach seinem Jura-Studium in Cambridge arbeitete er als Invest- mentbanker bei CLSA in Hongkong . 2014 gründete er ERIC , eine unabhängige Forschungsplatt- form . Napier lehrt an der Edinburgh Business School und ist Autor von „Anatomy of the Bear“ (2005). Er ist bekannt für seine kritischen Analysen der Finanzmärkte und Vorhersagen von Marktkrisen. 2014 gründete Napier die „Library of Mistakes“ in Edin- burgh , eine öffentliche Bibliothek zur Finanzgeschichte. Sie umfasst über 3.000 Bücher und zielt darauf ab, aus vergan- genen Finanzfehlern zu lernen. Napier ist Vorsitzender des Mid Wynd International Invest- ment Trust und schreibt regelmäßig für Finanzpublikationen. 46 N o . 3/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Russell Napier | ERIC; Library of Mistakes FOTO: © BRENDAN MACNEILL » Ich mache normalerweise keine kurzfristigen Prognosen, aber ich denke, es ist richtig zu sagen, dass dieses neue Währungssystem in zwei Jahren kommen muss, weil China so nicht weitermachen kann. « Russell Napier, Finanzhistoriker und u. a. Gründer der „Library of Mistakes“

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