Institutional Money, Ausgabe 3 | 2024

Herr Napier, steigen wir ohne Umschweife ein: Sie gehen davon aus, dass das globale Währungssystem vor seinem Ende steht? Russell Napier: Ja, absolut. Ich argumentiere sehr stark, dass das aktuelle globale Währungssystem 1994 mit der Abwer- tung des Renminbi begann, als China seine Währung an den US-Dollar koppelte. Grob gesagt hat bislang kein globales Währungssystem länger als 30 Jahre gehalten. Der Kern des aktuellen Systems ist Chinas De-facto-Bindung an den US-Dollar beziehungsweise an den vom Dollar domi- nierten Währungskorb. Und ich denke, das ist es, was sich ändern wird: Das wird nicht so weitergehen, und das wie- derum kommt einer globalen Umwälzung des globalen Währungssystems gleich und läuft auf die Spaltung in welt- weit zwei Währungssysteme hinaus. Das hatten wir schon einmal, oder? Russell Napier: Tatsächlich hatten wir im klassischen Kalten Krieg zwei Währungssysteme. Das spielte in der alten Sow- jetunion aber keine so große Rolle, weil sie keine so große Wirtschaft war.Wenn wir jetzt von zwei Währungssystemen reden, ist das hingegen von großer Bedeutung, weil China die zweitgrößte Wirtschaft der Welt ist. Und es könnte an- dere geben, die sich seinemWährungssystem anschließen. Aber warum jetzt? Wieso so plötzlich? Russell Napier: Ich erwarte das schon seit einiger Zeit. Ich denke, es steht unmittelbar bevor, um zu verhindern, dass China auf eine Deflation zusteuert. Um eine solche zu ver- meiden, braucht es geldpolitische Unabhängigkeit.Um diese zu erlangen,muss China wiederum aufhören, den Wechsel- kurs anzuvisieren, und stattdessen Preis und Menge des Gel- des im Fokus haben. Denn alle Daten aus China zeigen, dass sich die ökonomische Situation dort immer weiter ver- schlechtert. Nehmen Sie zum Vergleich Neuseeland: Das winzige Land lässt seinen Wechselkurs frei schwanken und visiert Preis und Menge des Geldes an. Warum sollte die zweitgrößte Wirtschaft der Welt nicht dasselbe tun? Und wenn das passiert, dann erleben wir das Ende des alten globalen Währungssystems. Experimente mit Dollar-Koppelungen und Dollar-Entkoppelun- gen gehen in der Regel nicht so gut aus – siehe Argentinien. Das wird man in Peking auch beobachtet haben? Russell Napier: Die Ausgangslage ist unterschiedlich. Die Volksrepublik befindet sich in der glücklichen Position, nicht mit dem völligen Chaos Argentiniens zu beginnen. Sie brauchen also keine so radikale Lösung wie Argentinien. Aber lassen Sie es mich vielleicht anders ausdrücken: Stellen Sie sich vor, Sie und ich befinden uns in einem kalten Krieg miteinander, und ich binde meine Währung an Ihre. Das ergibt doch einfach keinen Sinn. China ist die zweitgrößte Wirtschaft der Welt und sollte zwangsläufig eine unabhän- gige Geldpolitik haben. Wenn man sich in einem kalten Krieg befindet, gibt man seinem Gegner einen enormen Hebel, wenn man seine Währung an die des Gegners binden. Ich glaube also, dass diese Politik ausgedient hat. Ich denke, unsere Kinder und Enkel werden eines Tages über- rascht sein, wenn sie hören, dass China angesichts seiner Größe und Macht jemals seine Währung an den US-Dollar gebunden hat. Sie berücksichtigen in Ihren Analysen auch die persönlichen Motivationen der Akteure. Xi Jinping ist offenbar an Stabilität interessiert. Eine Auflösung des Währungsregimes würde dem entgegenwirken, nicht wahr? Russell Napier: Nein, nicht wirklich. Aber die Umstände sind tatsächlich sehr interessant.Wir hatten dieses Problem schon oft in der Geschichte. Gehen wir zurück ins Vereinigte Kö- nigreich 1992, als es versuchte, seinen Wechselkurs innerhalb des Wechselkursmechanismus zu halten. Der Schatzkanzler kommt eines Morgens in sein Büro, und plötzlich steigen die Zinsen, weil die Zinsen eben steigen müssen, um diesen Wechselkurs zu verteidigen. Und man könnte die Zinsen auf jedes beliebige Niveau anheben, und irgendwann wür- den diese Zinsanhebungen in der Theorie auch funktio- 44 N o . 3/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Russell Napier | ERIC; Library of Mistakes FOTO: © BRENDAN MACNEILL » Grob gesagt hat bislang kein globales Währungssystem länger als 30 Jahre gehalten. Der Kern des aktuellen Systems ist Chinas Bindung an den US-Dollar. « Russell Napier, Finanzhistoriker und u. a. Gründer der „Library of Mistakes“

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