Institutional Money, Ausgabe 3 | 2024
D ie Erkenntnisse, zu denen Italiens Ministerpräsi- dent Mario Draghi in seiner im Auftrag der EU- Kommission erstellten Einschätzung der wirt- schaftlichen Lage beziehungsweise der Wettbewerbsfähigkeit der EU kommt, sind nicht wirklich überraschend. Die Wirt- schaft der USA ist heute um 30 Prozent größer als die der Europäischen Union; 2002 lag der Abstand noch bei 17 Pro- zent. Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in Europa ist heute um 34 Prozent geringer als jene in den USA. Ein Blick auf die Charts von Euro Stoxx 50 und S&P 500 seit dem Jahr 1987 bestätigt diese Analyse eindrucksvoll: In den 20 Jahren bis 2009 entwickelten sich diese beiden Indizes mehr oder weniger fast parallel, seit dem Ende der Finanzkrise lässt der US-Markt Europa hingegen weit hinter sich. Während der europäische Markt seit März 2009 nur rund 140 Prozent an Wert zulegen konnte, hat sich der US-Leitindex im selben Zeitraum mehr als versechsfacht. Die Ursachen dieser Misere werden in Draghis Papier klar benannt: Sie reichen von der politischen Fragmentierung und den damit verbundenen ineffizienten Entscheidungs- prozessen über die auch von einer ausufernden Regulie- rungswut der EU verursachten Überbürokratisierung bis hin zur Fehlallokation der Mittel („Der öffentliche Sektor in der EU gibt im Verhältnis zum BIP etwa so viel für Forschung und Entwicklung aus wie die USA, aber nur ein Zehntel dieser Ausgaben findet auf EU-Ebene statt.“Aus: The Future of European Competitiveness). So weit, so schlecht, als ein- zelner Investor kann man an der Problematik aber natürlich nichts ändern, man muss sie allerdings kennen und inner- halb des eigenen Verantwortungsbereichs berücksichtigen. Was heißt das? Draghi unterbreitet eine Reihe von Vorschlä- gen, die dazu führen sollen, dass sich die ungünstige Ent- wicklung beenden lässt und die EU auf einen Wachstums- pfad zurückkehrt. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich dabei mit Fragen zu Themen wie Energiepolitik, Rohstoff- sicherheit oder Hochtechnologie und Digitalisierung, paral- lel dazu möchte er auch die Rolle Brüssels neu definieren. Was der Italiener vorschlägt, ist in Teilen nichts weniger als die auch von anderen Kritikern geforderte Reform der Union. Aber schon die gemischten Reaktionen darauf lassen ernsthafte Zweifel daran aufkommen, dass der Appell des ehemaligen EZB-Chefs richtig angekommen ist beziehungs- weise in absehbarer Zeit ernst zu nehmende Anstrengungen unternommen werden, die wirtschaftliche Talfahrt zu stop- pen. Die Frage, ob Draghis Rezepte gut oder schlecht sind, stellt sich für den Anleger dabei gar nicht. Wesentlich sind erstens die Analyse, wonach der Trendpfeil der europäischen Wirtschaft in die falsche Richtung zeigt, und in der Folge die Beobachtung der weiteren Entwicklung. Solange nicht erkennbar ist, dass eine Gegenbewegung mit positiven Auswirkungen einsetzt,müsste man konsequenterweise bei Investitionen Regionen übergewichten, die vergleichsweise besser laufen. Sollte hingegen der erhoffte Ruck durch Europa gehen und es werden Maßnahmen ergriffen, die eine Verbesserung der Lage bewirken, würden die Märkte sehr rasch reagieren und die Kapitalströme umlenken. In diesem Fall müsste man Europa ebenso rasch neu gewich- ten.Möglich ist beides, aus aktueller Sicht erscheint Letzteres allerdings leider weniger wahrscheinlich. Wir laden Sie schon heute ein, sich für den kommenden Institutional Money Kongress anzumelden, auf dem Sie dieses und viele andere spannende Themen im Kollegenkreis mit Topexperten diskutieren können. Gerhard Führing und Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Draghis Vorschlag BRIEF DER HERAUSGEBER 4 N o . 3/2024 | institutional-money.com
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