Institutional Money, Ausgabe 3 | 2024

B ei Verträgen, die hunderte Seiten lang sind und komplexe Bedingungen enthalten, die nicht einmal spezialisierte Anwälte in aller Ausführlichkeit zu le- sen gewillt sind, drängt sich durchaus die Frage auf, ob diese Thematik vollständig in die Preisbildung einfließt. Anhänger effizienter Märkte werden einwenden, dass vom Standard abweichende Klauseln wie beispielsweise komplizierte Optionalitäten, die die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung beeinflussen, von Anfang mit einem Preis versehen sein wer- den, wenn sich durch die Ausnutzung dieser spezifischen Klauseln Gewinne erzielen lassen.Man kann aber auch der Ansicht sein, dass dem Kleingedruckten in weitgehend stan- dardisierten Verträgen zu Anleihenemissionen wenig Auf- merksamkeit geschenkt wird, bis die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls so stark in den Vordergrund tritt, dass sich das Lesen der Klauseln lohnt. Anhand mehrerer unge- wollter Experimente in der realenWelt untersuchen die fünf US-Rechtsprofessoren Stephen J. Choi, Mitu Gulati, Ugo Panizza, Robert E. Scott und Mark C.Weidemaier die Frage, wie und wann abweichende Klauseln in Anleihenvertrags- bedingungen, die als standardisiert gelten, tatsächlich mit einem Preis versehen werden und damit den Kurs einer Anleihe verändern. CACs und Co. Die fünf Juraprofessoren konzentrieren sich auf den Markt für Staatsanleihen, wo empirische Untersuchungen zum Preiseinfluss der Vertragssprache gemischte Ergebnisse er- bracht haben. Viele Preisstudien konzentrieren sich auf äu- ßerst wichtige Vertragsbestimmungen wie Collective Action Clauses (CACs), die es einer überwältigenden Mehrheit der Investoren (zum Beispiel Inhabern von 75 Prozent des aus- stehenden Kapitalbetrags) ermöglichen, einem Umstruk- turierungsvorschlag zuzustimmen und die Gegner an das Ergebnis zu binden. Die Bedeutung von CACs wird durch die Tatsache unterstrichen, dass der Prospekt oder ein ande- res Verkaufsdokument, das an potenzielle Investoren verteilt wird, die CACs normalerweise auf der ersten Seite detailliert beschreibt. Zahlreiche Studien untersuchten die Auswirkun- gen von CACs mit unterschiedlichen Stimmrechtsschwellen (beispielsweise 100 gegenüber 75 Prozent) auf die Preisge- staltung. Einige frühe Studien kamen zum Ergebnis, dass CACs die Anleihenpreise nicht bedeutsam beeinflussten. Neuere Studien kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass sich die Anleihenpreise insbesondere dann, wenn sich der Emit- tent in finanziellen Schwierigkeiten befindet, in den Unter- schieden bei Stimmrechtsschwellen und -mechanismen widerspiegeln. Arbeitshypothese Natürlich werden sich bei einem bevorstehenden Zahlungs- ausfall viele andere Faktoren als das exakte Wording des Paragrafendschungels auf die Anleihenpreise auswirken, darunter die Wahrnehmung des Ausfallrisikos durch die Marktteilnehmer. Wie können die Autoren also feststellen, ob die Marktpreise tatsächlich Informationen über die recht- lichen Auswirkungen der Klauseln im Anleihenvertrag ent- halten? Sicherlich nicht, indem sie einen Querschnitt von Anleihen verschiedener Staaten untersuchen und den Preis- unterschied zwischen Anleihen mit und ohne bestimmte Klauseln beobachten. Jeder beobachtete Unterschied könnte auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sein, die nichts mit dem exakten Wording zu tun haben, darunter sind natürlich wirtschaftliche oder politische Bedingungen, die von Staat zu Staat unterschiedlich sind. Stattdessen vergleichen sie die Preise im Zeitverlauf für Anleihen mit ähnlichen Laufzeiten, die vom selben Staat Vertragsbedingungen, die die Wahrscheinlichkeit der Rückzahlung einer Schuld erhöhen oder verringern, sollten sich auf deren Preis auswirken. Doch gilt das auch immer und sofort für komplexe Anleihenklauseln? Das verdammte Kleingedruckte 106 N o . 3/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | EMD-Preiseffekte FOTO: © JULIANA THOMAS » Wir untersuchen, wann Unterschiede im Kleingedruckten in weitgehend standardisierten Verträgen zu Kursveränderungen führen. « Stephen J. Choi, Professor of Law and Business an der New York University School of Law

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