Institutional Money, Ausgabe 2 | 2024
D ie Zeit der US-Dollar-Dominanz nähert sich mit wachsender Geschwindigkeit ihrem Ende. Das ist eine These, die in jüngster Zeit immer häufiger verbreitet wird, und die Argumente dafür klingen plausibel – von den Spannungen zwischen dem globalen Norden und dem Süden bis zur weiter rasch wachsenden Staatsver- schuldung der USA gibt es durchaus Faktoren, die den Status der globalen Leitwährung der Nachkriegszeit infrage stellen beziehungsweise infrage stellen könnten. Jüngst bestätigte etwa die stellvertretende IMF-Direktorin Gita Gopinath in einer Rede, dass der Internationale Währungsfonds eine Abnahme der Bedeutung der US-Währung in den Handels- finanzierungen jener Regionen, die eher mit China assozi- iert werden, feststelle. An anderer Stelle kann man lesen, dass die BRICS-Staaten bereits an einer gemeinsamen neuen Blockchain-basiertenWährung basteln, die in diesemHerbst anlässlich einer Konferenz in Russland präsentiert werden könnte. Sind die Tage des Greenbacks also gezählt? Natür- lich könnten außerordentliche Ereignisse hier zu einem Paradigmenwechsel führen – etwa eine militärische Ausein- andersetzung zwischen den USA und China. Sehr wahr- scheinlich ist eine solche allerdings nicht. Aber selbst wenn dies passieren sollte, hieße das längst nicht, dass sich die Welt vom US-Dollar abwendet. Die aktuelle Leitwährung dürfte nämlich in jedem Fall vom sogenannten „Lindy-Effekt“pro- fitieren. Dieses Phänomen, das vom US-Autor Albert Gold- man in den 1960er-Jahren beschrieben wurde, besagt, dass die wahrscheinliche zukünftige „Lebenserwartung“von Ideen, Konzepten, Produkten, aber auch Unternehmen auch daran ablesbar ist, wie lang ihre Geschichte zurückreicht. Der „Schwarze-Schwan-Autor“ Nassim Taleb verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass E-Book-Reader das gedruckte Buch, dessen Technologie sich seit Jahrhunderten bewährt hat, trotz ihrer vermeintlichen Vorteile eben nicht kurzfristig ersetzen werden. Dasselbe kann man für eine allfällige Digi- talwährung des globalen Südens, den Renminbi oder den Euro annehmen. Allein die bestehende globale Infrastruktur, die über Jahrzehnte aufgebaut wird, um den Welthandel mit demUS-Dollar zu betreiben, sorgt hier für Beharrungs- vermögen. Die Fed-Autoren Carol Bertaut, Bastian von Beschwitz und Stephanie Curcuru haben in einem Artikel zum Thema mit dem Titel „Die internationale Rolle des US-Dollars“ vor einem Jahr darauf verwiesen, dass der US- Dollar in seiner Rolle als Leitwährung vor Herausforderun- gen stehe, betrachte man aber die Fakten – und sie zählen hier eine lange Reihe auf, zeichne sich keine grundlegende Veränderung ab. Sie schreiben: „Wir stellen fest, dass der Dol- lar nach wie vor die dominierende Währung ist und eine übergroße internationale Rolle spielt, gemessen an der Ver- wendung in internationalen Reserven und anderen Dimen- sionen im Verhältnis zum US-Anteil am globalen BIP. Laut unserem Index, der verschiedene Faktoren kombiniert, ist die internationale Verwendung des US-Dollars in den letzten fünf Jahren imWesentlichen unverändert. Tatsächlich spielt er sogar eine übergroße Rolle in Bereichen der Finanzinno- vation, beispielsweise als dominierender Anker für Stable- coins.“ Daran, dass derzeit alle Fiat-Währungen, gemessen an Sachwerten wie Immobilien, Aktien, Gold und sogar Bitcoin, relativ an Wert verlieren, besteht kein Zweifel, aber unter all diesen „Weichwährungen“bleibt der US-Dollar mit hoher Wahrscheinlichkeit noch sehr lange die härteste. Wir bedanken uns noch einmal bei allen Teilnehmern des Institutional Money Kongresses 2024 und wünschen Ihnen wie immer an dieser Stelle einen erholsamen Sommer. Gerhard Führing und Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Der Lindy-Effekt und der US-Dollar BRIEF DER HERAUSGEBER 4 N o . 2/2024 | institutional-money.com
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