Institutional Money, Ausgabe 2 | 2024

der Schweiz niedriger als in den meisten anderen europäi- schen Ländern. Sturm verweist darauf, dass man in der Schweiz stark auf die Eigenverantwortung der Menschen setzt. „Wenn Sie keinen Verdienst haben, erhalten Sie in der Schweiz Sozialleistungen. Aber wenn Sie dann wieder Geld verdienen, müssen Sie die erhaltenen Sozialleistungen zu- rückzahlen“, so Sturm. Wichtig ist auch, wer in das gesetzliche Altersvorsorge- system einzahlt und ob es ein mehrklassiges System gibt. „In der Schweiz hat man das Beamtentum weitgehend abge- schafft; in Österreich auch. Dort sind alle im selben gesetz- lichen Rentensystem. In Frankreich haben alle ein gutes System, denn es werden für die Berechnung der Renten die besten 25 Jahre genommen. Ob wir unser Beamtensystem in Deutschland renovieren sollten, kann ich aus dem Steg- reif nicht sagen. Das war nicht Fokus unserer Studie“, sagt Melchiors und lässt durchblicken, dass er sich das gern ein- mal genauer ansehen würde. Was kostet die Rente? Neben der Höhe der Altersrente ist natürlich auch zu betrachten, wie viel im jeweiligen Land für die Versorgung der Rentner aufgewendet wird (siehe Chart „Ausgaben für die Altersvorsorge“). „Im Verhältnis zum BIP sind die Kosten für das Rentensystem in Frankreich bei Weitem am höchsten“, erklärt Melchiors. „Frankreich hat eine staatliche Alters- versorgung, die nahezu komplett umlagefinanziert ist und deshalb im Vergleich mit den anderen Ländern, die wir untersucht haben, die höchsten Ausgaben hat.“ Das Rentensystem in den Niederlanden hat es geschafft, die Kosten nach einigen Reformschritten nach und nach zu reduzieren, und liegt derzeit etwa auf unseremNiveau, aller- dings mit abnehmender Tendenz imGegensatz zu unserem System. In Deutschland sind die Ausgaben für die Altersvor- sorge weit oben angesiedelt, während das Versorgungsniveau vergleichsweise niedrig ist. Die Beiträge in die Rentenkasse betragen in Deutschland 18,6 Prozent des Bruttolohns, was jeweils hälftig von Arbeitgeber und Arbeitnehmer getragen wird. Hinzu kommt der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung, der bei rund 100 Milliarden Euro liegt. Bei einem Bundeshaushalt von knapp 500 Milliarden sind das etwa 20 Prozent des gesamten Haushalts. Die erkenn- bare Kostenerhöhung liegt aber auch an politischen Ge- schenken wie Mütterrente und der Rente für langjährige Versicherte. Auch die Angleichung der Renten in Ost und West hat eine gewisse Auswirkung. Sonderlocken der Regierungen „Das war natürlich ganz klar politisch motiviert“, stellt Melchiors fest und verweist darauf, dass es ja viele solche politisch motivierten Fälle gibt: „Ein markantes Beispiel für solche Sonderlocken ist etwa die Mütterrente in Deutsch- land. Die kostet jedes Jahr 18,6 Milliarden Euro und zahlt Renten aus, denen keine Beiträge gegenüberstehen“, erklärt Melchiors. Aber solche Sonderlocken, bei denen bestimmte Grup- pen eine Rente erhalten, ohne dafür in das System einge- zahlt zu haben, gibt es nicht nur in Deutschland. 2021 hat man in Schweden die Grundrente angepasst. Rund die Hälf- te der Rentner erhält jetzt mehr Rente, und der Mehrbetrag wird aus Steuermitteln gezahlt. „Darüber hat sich der Chef des AP7-Fonds, Richard Gröttheim, aufgeregt, denn damit gehe man einen Schritt zurück, anstatt vorwärts“, sagt Mel- chiors. Offenbar lobte Gröttheim bei der Gelegenheit das deutsche System als gut ausbalanciert, weil es dem Äquiva- lenzprinzip entspricht, also eine direkte Beziehung zwischen Beitragszahlungen und Rentenhöhe besteht, mit der Ein- schränkung, dass unsere Sonderlocken unsystematisch sind. Eigentlich ist Schweden nicht dafür bekannt, großzügige Wahlgeschenke im Rentenbereich zu verteilen: „Das liegt auch daran, dass es dort ein Rentengremium gibt, das mit allen im Parlament vorhandenen Parteien besetzt ist. Ver- änderungen am Rentensystemmüssen in diesemGremium einstimmig beschlossen werden“, erklärt Melchiors. So kön- ne sich keine Partei durch Wahlgeschenke im Rentenbe- reich profilieren. „Ansonsten bauen Regierungen gern Sonderlocken ins Rentensystem ein, die dann oft viel Geld kosten. Aber sie beruhigen das Volk, und man hofft natür- lich, damit die Wähler für sich einzunehmen“, gibt Mel- chiors zu bedenken.Man merkt ihm an, dass er für das The- ma Altersvorsorge brennt, und er nennt den Grund: „Die Altersvorsorge ist eines der großen gesellschaftlichen The- men und eine staatliche Aufgabe. In allen westlichen Län- dern besteht Handlungsbedarf. Dabei ist es wichtig, ein effi- zientes, aber auch von der breiten Mehrheit als gerecht emp- fundenes Alterssicherungssystem zu erhalten.“ Insbesondere angesichts des Bedarfs an Fach- und Arbeitskräften brauche es klare Konzepte und Anreize. ANKE DEMBOWSKI Zusammensetzung der Einkünfte im Alter Einkommensquellen der Älteren & Anteil zur Verfügung stehendes Einkommen Die staatlichen Rentenversicherungen haben in Frankreich und Deutschland den höchsten Anteil an der Altersvorsorge. Der Anteil der betrieblichen Altersvorsorge ist in den Niederlanden, der Schweiz und in Großbritannien sehr hoch. In Deutschland wird im Rentenalter verstärkt gearbeitet, seit die Hinzuverdienstgrenzen erst deutlich angehoben und dann gänzlich abgeschafft wurden. Quelle: Institut „Wirtschaft und Gesellschaft“ (IWG), OECD: „Pension at a Glance“ 2021 und OECD-Datenbank Frankreich Deutschland Niederlande Schweden Schweiz Vereinigtes Königreich 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Kapital Arbeit Gesetzliche Renten Betriebliche Altersvorsorge 158 N o . 2/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Europäische Rentensysteme

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