Institutional Money, Ausgabe 2 | 2024

trauenserhalt für die Marktteilnehmer, denn es sind ja nur wenige schwarze Schafe unterwegs. Da ist Deutschland allerdings auch kein Einzelfall“, resümiert Melchiors. Anpassung Renteneintrittsalter Bei Gelegenheit des Systemwechsels in Schweden Anfang der 90er-Jahre hat man dort auch gleich das Renteneintritts- alter angehoben. Dabei wurde gleich festgeschrieben, dass das Renteneintrittsalter regelmäßig überprüft wird, wenn sich die Lebenserwartung weiter erhöht. „Allerdings wurden die bisherigen Anpassungen beimRenteneintrittsalter durch höhere bAV-Einzahlungen abgemildert. Daher haben die Schweden nicht weniger Rente, wenn sie früher in Rente gehen. Wenn sie aber über das Mindestrenteneintrittsalter hinaus arbeiten, erhalten sie mehr Rente als vorher“, sagt Melchiors und zieht den Vergleich zu einem anderen nordischen Land: „Auch in den Niederlanden ist man sehr weit, was die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung betrifft. Dort verschiebt sich der Renten- eintritt zu zwei Dritteln der Lebenserwartung nach oben. In den Niederlanden wird dies durch einen automatischen Prozess alle fünf Jahre angepasst; da muss nicht mehr jedes Mal darüber diskutiert werden.“ In den meisten anderen europäischen Ländern hat man sich mit der Anhebung der Altersgrenze für den Rentenein- tritt deutlich mehr Zeit gelassen, weil diese politisch schwer durchzubringen ist. Man erinnere sich an die heftigen Pro- teste 2023 in Frankreich, als Staatspräsident Emmanuel Macron beschloss, das Renteneintrittsalter leicht anzuheben; und dies, obwohl es auch nach der Anhebung noch ver- gleichsweise niedrig ist (siehe Chart „Das Rentenantrittsalter steigt“). In Deutschland wurde 2012 beschlossen, die Regel- altersgrenze von 65 auf 67 Jahre anzuheben, was in der Bevölkerung natürlich für Unmut sorgte. Indem man für langjährig Versicherte eine vorzeitige abschlagsfreie Rente eingeführt hat, verteuerte man kurzfristig dieses System bis heute um mehrere Milliarden. In der Schweiz wurde im November 2022 das Renteneintrittsalter für Frauen ange- hoben, allerdings mit langen Übergangsfristen, damit sich dieser Schritt überhaupt politisch durchsetzen ließ. Öster- reich hat 2024 damit begonnen, die Regelaltersgrenze stufenweise anzuheben, allerdings nur für Frauen, die bis dato fünf Jahre früher in Rente gehen durften als Männer, nämlich mit 60 anstatt mit 65. Durchdringungsrate bei der bAV Schließlich gilt es auch, das Größenverhältnis zwischen erster und zweiter Säule der Altersvorsorge zu betrachten. Hier hebt Sturm die Niederlande als gelungenes Beispiel hervor. „Dort hat die bAV mittlerweile im Schnitt einen deutlich größeren Anteil an der Nettoersatzrate als die staatliche Grundrente. Hinzu kommt, dass mehr als 90 Prozent der Menschen in den Niederlanden einen bAV- Anspruch haben. Das geht dort über die großen Tarif- partner“, erklärt Sturm. In Schweden ist die Durchdringungsrate ähnlich hoch wie in den Niederlanden. Auch dort erwarten etwa 90 Pro- zent der arbeitenden Bevölkerung eine betriebliche Rente von einem oder mehreren ihrer früheren Arbeitgeber. Von solchen Zahlen kann man in Deutschland nur träumen. Dort bemüht man sich, die Durchdringungsrate für die betriebliche Altersversorgung (bAV), die seit Län- gerem bei unter 60 Prozent stagniert, anzuheben. Dafür hat der Gesetzgeber 2018 das Sozialpartnermodell als Durch- führungsmöglichkeit eingeführt, für die erstmals keine Garantie seitens des Arbeitgebers mehr erforderlich ist. Aber obwohl die gesetzliche Möglichkeit seit nunmehr sechs Jahren besteht, gibt es erst drei Sozialpartnermodelle: Uniper, Chemie und BVV. Es gibt daher in Deutschland noch etwa 40 Prozent Unversorgte, die nicht mit einer betrieblichen Rente rechnen können, sondern sich auf die erste und gegebenenfalls die dritte Säule, also die geförderte private Altersvorsorge, verlassen müssen. Und selbst bei den Versorgten sind dies teilweise nur sehr kleine Renten, also fehlt hier auch noch etwas. In Österreich sieht es hinsichtlich der bAV noch schlechter aus. Dort haben prozentual deut- lich weniger Menschen eine betriebliche Rente als in Deutschland. Ausgaben für die Altersvorsorge Ausgaben für Renten in Prozent des BSP Frankreich liegt mit seinen Ausgaben für die Altersvorsorge ganz vorn. Etwas Vorsicht ist bei diesem Vergleich aber angebracht: Eurostat vergleicht die Ausgaben für die gemeldeten Renten. Diese beinhaltet je nach Land unterschiedliche Anteile der Altersversorgung. Generell zeichnen sich Steigerungen seit 2019 ab. Quelle: Institut „Wirtschaft und Gesellschaft“ (IWG), Eurostat 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 10 % 11 % 12 % 13 % 14 % 15 % 16 % Frankreich Deutschland Niederlande Schweden Schweiz Vereinigtes Königreich Europäische Union – 27 Ausgaben für Renten in Prozent des BSP N o . 2/2024 | institutional-money.com 155 Europäische Rentensysteme | THEORIE & PRAXIS FOTO: © UNIVERSITÄT ULM » Privatwirtschaftliche Versicherungs- produkte müssen jeweils zum Angebot der gesetzlichen und betrieblichen Vorsorge passen, da sie diese oft ergänzen sollen. « Prof. Dr. An Chen, Leiterin Institute of Insurance Science, Faculty of Mathematics and Economics, Universität Ulm Altersvorsorge ist ein langfristiges Konzept, bei dem die Bevölkerung umfassend eingebunden und überzeugt werden muss.

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