Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024

Bevölkerungsentwicklung gerade im Hinblick auf die Migration erheblich unterschätzt. Wobei gerade die 2005 aufgrund der Osterweiterung einsetzende Migration innerhalb der Europäischen Union eine wesentliche Rolle dabei gespielt hat, dass Deutschland ein kräftiges Wirtschafts- wachstum erzielen konnte. Prof. Lars Feld: Vollkommen richtig. Aber mit der Berech- nung von notwendigen Kapazitäten, nicht nur bezüglich der Infrastruktur im engeren Sinne, sondern auch in Bezug auf Schulen sowie Krankenhäuser und die Strukturen in der Gesundheitsversorgung insgesamt sind öffentliche Einrich- tungen letztlich auf eine andere Bevölkerungszahl ausge- richtet worden. Das lässt sich nur schwer umsteuern und stellt uns heute vor erhebliche Probleme in einer Zeit, da wir nach wie vor einen Zustrom an Menschen durch eine aus verschiedenen Gründen weiter anhaltende Migration verkraften müssen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Regulierungsmaßnahmen, die in der Zwischenzeit hinzu- gekommen sind und notwendige Infrastrukturmaßnahmen oft verhindern oder verzögern. Wobei viele Kritiker die Schuldenbremse ins Feld führen, wenn es um die Vernachlässigung von Infrastrukturmaßnahmen geht … Prof. Lars Feld: …was aus meiner Sicht schon deshalb kein schlüssiges Argument ist, weil man zwar gern die Bundes- regierung für Mängel beim Infrastrukturausbau verantwort- lich macht, aber fast 60 Prozent dieser Maßnahmen durch Investitionen von Städten und Kommunen erfolgen, die sich in Höhe ihrer Investitionen verschulden können. Das ist nur einer von vielen Gründen, weshalb aus meiner Sicht die von interessierter Seite oft lautstark vorgetragene Kritik, es sei die Schuldenbremse, die notwendige Investitionen verhindere, schlicht falsch ist. Ähnliches gilt für die behaup- teten konjunkturellen Effekte der Schuldenbremse. Aber auch Sie werden doch die Aufrufe von durchaus renommier- ten Ökonomen wahrgenommen haben, die sich für eine flexiblere Handhabung der Schuldenbremse starkmachen. Prof. Lars Feld: Das ist mir natürlich nicht entgangen. Aber ich war von Beginn an bei der Einführung der Schulden- bremse dabei und würde behaupten, dass ich mich gerade beim Thema Fiskalregeln bestens auskenne. Meines Erach- tens ist das Design, das wir für die Schuldenbremse ent- wickelt haben, nach wie vor richtig und stimmig.Und einen nachteiligen Effekt durch zu geringe Investitionen kann man der Schuldenbremse nicht anlasten, das lässt sich empirisch nicht nachweisen, eher im Gegenteil: Seit deren Einführung sind die Investitionen des Staates in Prozent des Bruttoinlandsprodukts sogar gestiegen, nicht zuletzt weil wir viel ausführlicher über die Sinnhaftigkeit von Investitionen diskutieren. Sie stört dann offenbar auch nicht, dass Deutschland zum Teil belächelt wird in Bezug auf die Selbstauferlegung einer Schulden- begrenzung. Länder wie Italien oder auch Japan und die USA machen sich keinen Stress und leben seit Jahrzehnten mit deutlich höheren Schulden. Prof. Lars Feld: Sie versuchen offenbar, die Perspektive der angelsächsisch geprägten Finanzmärkte einzunehmen, die sich fragen, ob Deutschland so etwas wie einen Schulden- fetisch hat. Ich habe eher den Eindruck, dass der Rest der Welt einen Fetisch mit Verschuldung hat.Denn es ist keines- wegs so, dass die italienische Staatsverschuldung tragfähig wäre, im Gegenteil. Das gilt im Prinzip auch für die ameri- kanische Staatsverschuldung. Sonst wäre es wohl kaum zum Downgrade des US-Länderratings gekommen, das wir zu- letzt gesehen haben. Und Japan ist ohnehin eine vollkom- men andere Geschichte. Was meinen Sie konkret? Prof. Lars Feld: Eine Situation mit einem so hohen Schul- denstand, wie ihn Japan aufweist, lässt sich nur durchhalten, wenn man als Staat auf massive finanzielle Repression setzt. Genau das setzt Japan regulatorisch durch. Denn es fließt ja nur deshalb so wenig Kapital aus dem Land ab, weil man die Bürger gewissermaßen zwingt, die eigenen Staatsschul- 64 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Lars Feld | Walter Eucken Institut der Universität Freiburg FOTO: © ANJA THÖLKING » Die von interessierter Seite oft lautstark vorgetragene Kritik, es sei die Schuldenbremse, die notwendige Inves- titionen verhindere, ist schlicht falsch. « Prof. Lars Feld, Walter Eucken Institut an der Universität Freiburg

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