Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024
bremse sicher helfen würde, statt dass sie eventuell ausgehe- belt werden würde. Einen ähnlichen Vorschlag haben wir auch in Bezug auf das Thema Neuverschuldung gemacht … …der wie genau aussieht? Prof. Ulrike Malmendier: Die in der Schuldenbremse festge- legte Grenze für die staatliche Neuverschuldung auf maxi- mal 0,35 Prozent des nominellen Bruttoinlandsprodukts ist ja ähnlich wie die Zwei-Prozent-Marke bei der Inflation nicht gottgegeben. Deshalb haben wir auch hier Vorschläge zu einer Flexibilisierung gemacht, die aber gleichzeitig mit bestimmten Anreizen verknüpft sind. Unser Vorschlag sieht vor, in einer Situation mit einem Staatshaushalt in einer gu- ten Verfassung die Neuverschuldungsgrenze auf 0,5 Prozent oder sogar bis auf ein Prozent anzuheben. Das wäre aber mit der Bedingung verbunden, dass die Neuaufnahme von Schulden auf deutlich unter 0,35 Prozent begrenzt wird für den Fall, dass die Staatsverschuldung sich der Marke von 90 Prozent nähert oder sogar darüber hinausgeht. Auch das würde in Übergangsphasen das Regelwerk flexibler machen. Zum Schluss bitte noch ein Wort zu einem Thema, das gerade an Aktualität gewonnen hat: das Thema Rentenversicherung. Prof. Ulrike Malmendier: Meine spontane Reaktion: Es muss sich dringend und ganz schnell etwas ändern! Um aber vor- weg etwas Positives zu sagen: Es ist zu begrüßen, dass das offenbar auch in der Politik angekommen ist, zumindest ansatzweise. Das derzeit rein umlagefinanzierte Systemwur- de zu einer Zeit geschaffen, in der man noch von einem ste- tigen Bevölkerungswachstum ausgegangen ist. Wir wissen aber schon seit 1970, dass die Geburtenrate zu niedrig ist, um den Bestand der Bevölkerung zu halten. Einerseits ist zwar verständlich, dass man versucht, Unsicherheit bei jenen zu vermeiden, die schon in Rente sind. Meines Erachtens aber geht die Haltelinie von 48 Prozent, an der man unbe- dingt festhalten will, in die falsche Richtung und wird uns noch vor mehr Probleme stellen, als wir sie schon haben. Was ist Ihr Vorschlag? Prof. Ulrike Malmendier: Weil wir mit einer grundlegenden Reform viel zu spät dran sind, müssen wir nun alle Stell- schrauben nutzen, die wir haben.Wir müssen die Erwerbs- quote nach oben bringen und dafür sorgen, dass mehr Frauen in Vollzeit statt Teilzeit arbeiten können,wofür es eines gleichzeitigen Ausbaus der Kinderbetreuung bedarf. Auch an einer zeitlich verträglich abgestuften Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird kein Weg vorbeiführen. Dazu bieten wir im Jahresgutachten des Sachverständigenrats gut abge- wogene Lösungsvorschläge, die gesamtgesellschaftlich einen Kompromiss darstellen – und zu denen jeder etwas beiträgt. Von einem ursprünglich geplanten Einstieg in eine Aktienrente ist auch nicht mehr viel übrig geblieben, oder? Prof. Ulrike Malmendier: Das Prinzip dieses Generationen- kapitals, das nun vorgeschlagen wurde, ist schon eine ziem- lich abstruse Geschichte. Im Wesentlichen werden jetzt Schulden aufgenommen, die in den Kapitalmarkt investiert werden, um irgendwann zur Finanzierung der Renten bei- zutragen. Nur ist das Volumen äußerst gering, besser gesagt, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Effekt wird allenfalls in den Nachkommastellen bei künftigen Renten sichtbar werden. Aber die Beitragssätze werden trotz- dem nach oben schnellen. Ein ganz großes Manko ist, dass es keine individuellen Konten sind, auf deren Erträge der Einzelne wirklich einen individuellen Anspruch hat. Ich hätte mir ein System des echten Aktiensparens gewünscht, wie es uns die USA oder Schweden vormachen. Der große Wurf ist damit nicht gelungen. Unser Rentensystemwerden wir damit jedenfalls nicht aus seiner Misere holen. Wir danken für das Gespräch! HANS HEUSER 56 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Ulrike Malmendier | University of California, Berkeley FOTO: © AXEL KÖSTER » Das Prinzip des Generationenkapitals, das zur Reform der Rente vorgeschlagen wurde, ist schon eine ziemlich abstruse Geschichte. « Prof. Ulrike Malmendier, University of California
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