Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024

müssen uns nun entscheiden, ob wir dieses System künftig so gut wie möglich weiter betreiben sollen oder ob wir un- sere Wachstumschancen nicht erhöhen könnten, wenn wir uns für ein sehr viel stärker kapitalmarktorientiertes System entscheiden, das offener ist für zweifellos oft riskante, aber möglicherweise deutlich wachstumsstärkere neue Ideen. Woran denken Sie? Prof. Ulrike Malmendier: Dass wir die Forschungsstärke unse- res Landes nutzen sollten, um Unternehmen in zukunfts- trächtigen Sektoren wie der künstlichen Intelligenz oder auch der Biotechnologie stärker zu fördern, um unsere Chancen zu erhöhen,Deutschland tatsächlich auf ein merk- lich höheres Niveau in Bezug auf seinen Wachstumspfad zu heben. Wobei natürlich auch mir klar ist, dass es bei dieser Weggabelung nicht einfach darum geht, bestimmte Wahr- scheinlichkeiten zu errechnen, um dann einen Schalter um- zulegen. Denn das ist eine Entscheidung, an der sowohl die Politik wie auch die Privatwirtschaft mitarbeiten kann und muss. Es gibt aber gute, wenn auch bisher nicht unbedingt zahlreiche Beispiele, dass es gelingen kann. Worauf spielen Sie an? Prof. Ulrike Malmendier: Wenn ich eingangs von einer noch weitgehend unterentwickelten Venture-Capital-Landschaft in Deutschland gesprochen habe, dann gilt das nicht für die Finanzierung von sehr kleinen Unternehmen, die in der Regel der sogenannten Start-up-Szene angehören. Dort ha- ben wir meiner Wahrnehmung nach schon sehr viel erreicht. Aber wenn es dann um etwas größere Finanzierungsrunden geht, wenn durchaus erfolgversprechende Unternehmen 50, 100 oder vielleicht 150 Millionen in der nächsten Finanzie- rungsrunde benötigen, dann kommen in Deutschland oft nicht genügend Mittel zusammen, um diese Unternehmen bei künftigem Wachstum zu unterstützen. Andererseits freuen sich natürlich alle über wunderschöne Ausnahmen wie etwa im Fall des im Bereich der künstlichen Intelligenz aktiven Marktteilnehmers Aleph Alpha. Aber davon bräuch- ten wir einfach mehr in Deutschland. Aber sind wir dann nicht wieder bei einem Thema, das Sie bereits angesprochen haben, der Schuldenbremse? Da hat ja auch der Sachverständigenrat Wirtschaft Alternativen zu einem starren Fest- halten an der Beschränkung von Staatsausgaben aufgezeigt. Prof. Ulrike Malmendier: Grundsätzlich sind die Gründe für die Einführung und die Idee hinter der Schuldenbremse meines Erachtens nach wie vor ernst zu nehmen. Wenn man sich in die Situation eines Haushaltspolitikers versetzt, dann finden sich immer sehr gute Gründe,mehr Geld aus- zugeben. Und da geht es gar nicht nur um konsumtive Aus- gaben des Staates, sondern um Themen wie die Verbesse- rung von Bildungseinrichtungen, die Einstellung von mehr Lehrpersonal oder auch um die Instandsetzung und den Ausbau von Infrastruktur oder ein besseres Sozialsystem.Da- mit verbunden ist in der Regel etwas, was wir Verhaltens- ökonomen als Verzerrung bezeichnen, im Englischen „Bias“ genannt. Das ist zum einen ein „Present Bias“, weil jeder ans „Jetzt“ denkt, aber weniger an die Generation, die noch gar nicht geboren ist und deshalb auch nicht wählen kann. Da- her ist es grundsätzlich eine gute Idee, eine Regel zu haben, die einem gewisse Beschränkungen auferlegt. Aber Sie haben doch mit Ihren Kolleginnen und Kollegen bei den Wirtschaftsweisen nicht umsonst Alternativvorschläge unterbreitet – wie im Übrigen viele andere renommierte Ökonomen auch? Prof. Ulrike Malmendier: Vollkommen richtig. Diese Vorschlä- ge sind darauf ausgelegt, die Schuldenbremse grundsätzlich zu erhalten, die Haushaltsregel aber stärker in Einklang zu bringen mit einer stets dynamischen Entwicklung von Wirt- schaft. In Bezug auf die Aussetzung der Schuldenbremse, wie zum Beispiel im vergangenen Jahr aufgrund der massi- ven Störungen von Lieferketten, haben wir vorgeschlagen, eine Art Übergang zu schaffen, indemman aus einer Situa- tion mit einer solchen Ausnahmeregelung nicht für das fol- gende Jahr in einer Art Crashkurs wieder vollkommen aus- steigt. Unsere Idee war eine Art lineare, gleitende Rückkehr zum „Normalzustand“, was der Akzeptanz der Schulden- 54 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Ulrike Malmendier | University of California, Berkeley FOTO: © AXEL KÖSTER » Wenn man sich in die Situation eines Haushaltspolitikers versetzt, dann finden sich immer sehr gute Gründe, mehr Geld auszugeben. « Prof. Ulrike Malmendier, University of California

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