Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024

künstliche Intelligenz – durch entsprechende Automatisie- rung möglichst produktiver gestalten können. Wobei natürlich auch die Verantwortlichen in Unternehmen nach dem Gespräch mit Ihnen wieder an ihrem Schreibtisch sitzen, um sich angesichts extrem schwacher Wachstumszahlen Sorgen zu machen, wie sie ihr Quartalsergebnis erreichen sollen. Prof. Ulrike Malmendier: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Auch wenn ich eingangs beim Stichwort „Blick nach vorn“ die Notwendigkeit einer längerfristigen Perspektive betont habe: Die jüngsten Prognosen zumWirtschaftswachstum in Deutschland erfüllen auch mich keineswegs mit Begeiste- rung. Deshalb will ich hier gar nichts herunterspielen. Im Gegenteil, mir ist durchaus bewusst, dass die aktuelle Kon- junkturentwicklung erhebliche Implikationen haben wird, nicht nur für die Staatshaushalte in Bund und Ländern, auch für die meisten Unternehmen, die zusehen müssen, wie sie von einem Jahr zum nächsten über die Runden kommen werden. Nur wenn wir uns allzu sehr darauf kon- zentrieren, wie wir uns von einem Quartal zum nächsten hangeln können, dann wird alles weiter vor sich hin plät- schern, weil wir dann wieder nur darüber reden, was sich längerfristig ändern müsste, wir aber keine drastischen Schritte in diese Richtung unternehmen. Zumal es ja mit der Festlegung auf eine strikte Auslegung der Schulden- bremse nicht einfacher geworden ist. Bevor wir über die Schuldenbremse sprechen, noch einmal zum Begriff „längerfristig“ und was Sie konkret darunter verstehen. Prof. Ulrike Malmendier: Wenn ich es mir aussuchen dürfte, würde ich als Ökonomin bei der Diskussion um die Verbes- serung unserer Wachstumsaussichten am liebsten auf einen Zeitraum von 30 Jahren blicken – schon um Auswirkungen wirtschaftlicher Entscheidungen und wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf künftige Generationen einzubeziehen. Aber mir ist schon klar, dass wir uns dann in einem Bereich bewegen würden, der noch mit sehr viel Unsicherheit behaftet wäre. Daher wäre ich schon zufrieden, wenn wir uns auf einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren konzen- trieren, wenn es um private, aber auch öffentliche Investitio- nen und die notwendige Anpassung oder Änderung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen geht. Denn daraus erge- ben sich natürlich bestimmte Konsequenzen auch für einen institutionellen Investor. Wir befinden uns an einer Weg- gabelung, mit der wir das Potenzialwachstum in Deutsch- land verbessern können – oder eben nicht. Darauf müssen sich Investoren wie Marktteilnehmer einstellen. Und diese Weggabelung sieht wie genau aus? Prof. Ulrike Malmendier: Die Gesellschaft in Deutschland basiert traditionell auf einem weitgehend bankenfinanzier- ten Wirtschaftssystemmit einer großer Industriepräsenz, die vor allem in Branchen wie Maschinenbau, Automobilindus- trie und Chemie ihre Schwerpunkte hat. Diesen Segmenten haben wir ohne Zweifel sehr viel zu verdanken. Aber wir Vielfach ausgezeichnete Ökonomin und Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier ist Professorin am Fachbereich Wirtschaftswissen- schaften der University of California in Berkeley. Seit September 2022 gehört sie dem sogenannten Rat der Wirtschaftsweisen an. Sie ist zudem Gastprofessorin am Institute on Behaviour and Inequality in Bonn. Von 2013 bis 2015 war sie Director der American Finance Association und Director des Committee on the Status of Wo- men. Bis 2006 hat sie als Assistenzprofessorin an der Stan- ford University gelehrt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Unternehmensfinanzierung, in Verhaltensökonomie so- wie in Organisationsökonomie. Sie hat zahlreiche Aus- zeichnungen erhalten, darunter den Fischer Black Prize der American Finance Association für den besten Finanzöko- nomen unter 40, den Gustav-Stolper-Preis des Vereins für Socialpolitik und den Bessel-Preis der Humboldt-Stiftung. 52 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Ulrike Malmendier | University of California, Berkeley FOTO: © AXEL KÖSTER » Wenn wir uns allzu sehr darauf konzen- trieren, wie wir uns von einem Quartal zum nächsten hangeln können, dann wird alles weiter vor sich hin plätschern. « Prof. Ulrike Malmendier, University of California

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