Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024

Prof. Ulrike Malmendier: Der Blick nach vorn ist für einen Investor, der über die Kapitalanlagen zum Teil sehr großer Vermögen entscheiden muss, natürlich zu jeder Zeit von besonderer Bedeutung. Was mir aber oft gerade in der medialen Berichterstattung über Marktentwicklungen oder auch in wirtschaftspolitischen Debatten zu kurz kommt, das ist ein sehr langfristig angelegter Blick nach vorn. Der Fokus richtet sich häufig schnell auf Auseinandersetzungen da- rüber, ob das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr am Ende bei plus 0,2 oder bei minus 0,2 Prozent liegen wird oder wie sich die Nachkommastellen bei der Inflationsrate in den nächsten sechs Monaten entwickeln werden … …worüber sich in beiden Fällen natürlich trefflich streiten ließe. Prof. Ulrike Malmendier: Ohne Zweifel, ich will auch gar nicht sagen, ein solcher Austausch sei nicht wichtig. Aus der Perspektive einer Ökonomin verengt sich damit nur allzu schnell der Fokus auf Themen und Entwicklungen, die wir wahrscheinlich ohnehin kaumwerden beeinflussen können. Was wir meiner Ansicht nach aber zu sehr vernachlässigen, das ist die Beschäftigung mit Themen,wie wir die Leistungs- fähigkeit unserer Volkswirtschaft und unserer Gesellschaft insgesamt langfristig verbessern können.Wir sollten uns viel stärker damit beschäftigen, was unsere Wirtschaft bei nor- maler Auslastung zu leisten imstande wäre, und zwar ohne kurzfristige Störungen wie den Ausbruch einer Pandemie oder das Auftreten einer Energiepreiskrise. Sprechen Sie gerade von etwas, das die Wirtschaftswissenschaft gern mit dem Begriff Potenzialwachstum beschreibt? Prof. Ulrike Malmendier: Wenn Sie so wollen, ist es meiner Ansicht nach genau das, womit wir uns sehr viel stärker aus- einandersetzen müssten und womit sich gerade auch insti- tutionelle Investoren intensiv beschäftigen müssten. Denn um das Potenzialwachstum von Deutschland steht es im Moment nicht gut. Da befinden wir uns auf einem histori- schen Tiefstand. Für einen Großanleger, der ja nicht nur kurzfristige taktische Entscheidungen treffen muss, sondern eben auch längerfristig und strategisch planen muss, ist das ein Warnsignal, das er nicht übersehen sollte. Aber was sind nach Ihren Beobachtungen die Gründe dafür? Prof. Ulrike Malmendier: Einer der aus meiner Sicht bedeu- tendsten ist eine nach wie vor fehlende Kapitalmarktorien- tierung in Deutschland. Da sind gerade auch die Großanle- ger gefordert, ihre Allokationsentscheidungen auf den Prüf- stand zu stellen und ihre Portfolios entsprechend weiter zu diversifizieren. Vor allem um die in gewisser Weise immer noch relativ unterentwickelte Venture-Capital-Landschaft in Deutschland mit auf- und auszubauen, um junge, wachs- tumsstarke Unternehmen nach vorn zu bringen. Denn – da bin ich mir vollkommen sicher – das wird sich auf lange Sicht für diese Institutionen und die Bezugsberechtigten ihrer Kapitalanlagen überdurchschnittlich auszahlen. Was bräuchte es dafür aus Ihrer Sicht? Prof. Ulrike Malmendier: Zunächst einmal die Einsicht, dass wir in Deutschland eine solche stärkere Hinwendung zum Kapitalmarkt dringend benötigen, um nicht weiter hinter- herzuhinken gegenüber anderen Volkswirtschaften oder gar komplett den Anschluss zu verlieren. Wünschenswert wäre so etwas wie eine konzertierte Aktion oder ein gemeinsamer Schritt von allen Beteiligten am institutionellen Geschäft, angefangen bei Versicherungen über Versorgungswerke und Pensionskassen bis hin zu Family Offices. Wobei auch das Thema am Ende lediglich eines von vielen ist. Woran denken Sie noch? Prof. Ulrike Malmendier: Übergreifend gesprochen an den Aspekt Demografie, wobei ich in dem Fall insbesondere die Probleme am Arbeitsmarkt meine. In all meinen Gesprä- chen mit den CEOs von Unternehmen ist die Situation an den Arbeitsmärkten oft der erste und bedeutendste Aspekt, über den die Verantwortlichen in Unternehmen sprechen möchten. Zum Beispiel über die Frage, wie wir es schaffen können, mehr qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu integrieren, aber auch wie wir Arbeitsabläufe – Stichwort 50 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Prof. Ulrike Malmendier | University of California, Berkeley FOTO: © AXEL KÖSTER » Oft verengt sich nur allzu schnell der Fokus auf Themen und Entwicklungen, die wir wahrscheinlich ohnehin kaum werden beeinflussen können. « Prof. Ulrike Malmendier, University of California Die Frage ist, wie wir es schaffen können, mehr quali- fizierte Arbeitskräf- te aus dem Ausland zu integrieren.

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