Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024
MIT 2v2: Blanchard und die Grenzen des Monetarismus Den Notenbanken fehlt es zur Inflationskontrolle an Instrumentarien, sie können aber Rezessionen auslösen. O livier Blanchard wurde mehr als einmal als einer der einflussreichs- ten Ökonomen seiner Generation bezeichnet. Er war auch maßgeblich daran beteiligt, dass der Keynesianismus wieder hoffähig wurde, wenngleich er selbst eher ungern als „Neokeynesianer“ bezeichnet wird. Stark involviert war er als Cheföko- nom des IWF in die wirtschaftspolitischen Maßnahmen gegen die große Finanz- und später die Eurokrise. Blanchard wird seit 2016 von Reuters als einer der Favoriten für den Wirtschafts- nobelpreis gehandelt. Seine Chancen eher nicht schmälern wird, dass er nach wie vor aktiv publiziert – und das mit den Größen seiner Zunft und den aktuellsten Themen der Zeit, wie die 2023 erschienene Arbeit „What caused the US pandemic-era infla- tion?“ beweist, die er mit niemand Gerin- gerem als Ben Bernanke, dem ehemaligen Fed-Chef und Nobelpreisträger, verfasst hat. Blanchard beantwortet mit seinem Co- Autor die Frage, die im Titel gestellt wird, indem sie ein einfaches dynamisches Modell von Preisen, Löhnen sowie kurz- und lang- fristigen Inflationserwartungen spezifizieren und schätzen. Das geschätzte Modell ermöglicht es ihnen, die direkten und indirekten Auswir- kungen von Schocks auf den Produkt- und den Arbeitsmarkt auf Preise und nominale Löhne zu analysieren und die Quellen der Inflation und der Lohnentwicklung in den USA während der Pandemie-Ära zu quanti- fizieren. Die Autoren stellen in weiterer Fol- ge die These auf,wonach die Inflation durch überhitzte Arbeitsmärkte verstärkt wurde. Demnach sei der Großteil des Inflations- schubs, der 2021 begann, das Ergebnis von Preisschocks im Verhältnis zu Löhnen ge- wesen. Diese Schocks umfassten scharfe Anstiege der Rohstoffpreise, die eine starke aggregierte Nachfrage widerspiegelten, sowie sektorale Preisspitzen, die aus Verände- rungen im Niveau und der sektoralen Zu- sammensetzung der Nachfrage sowie aus Einschränkungen der sektoralen Versorgung resultierten. Weiters postulieren Blanchard und Ber- nanke, dass sich die Auswirkungen überhitz- ter Arbeitsmärkte auf das nominale Lohn- wachstum und die Inflation persistenter aus- wirken als die Auswirkungen von Produkt- marktschocks. Im Interviewmit Institutional Money hat sich Blanchard ebenfalls zum Thema Infla- tion und – in diesem Zusammenhang – zur Rolle und zu den Möglichkeiten von Notenbanken geäußert. Hier zeigte er sich gegenüber dem „willkürlich gesetzten“ Infla- tionsziel von zwei Prozent skeptisch. Dieses sei kein Ergebnis wissenschaftlicher Erkennt- nis, sondern eher das Resultat von Verhand- lungen gewesen. Auch sieht er den Werk- zeugkasten der Notenbanken zur Inflations- bekämpfung als inadäquat an. Prinzipiell könnten Notenbanken welt- weit die Inflation nur über das Abwürgen der Wirtschaft bekämpfen, wie weit man ge- gebenenfalls wirklich drosseln müsse, wisse hingegen niemand genau. Dezidiert warnte er damals die EZB davor, angesichts des inhomogenen Wirtschaftsraums bei Zins- anhebungen übers Ziel hinauszuschießen. Der Mann, der für Keynes eine Lanze bricht O livier Blanchard ist emeritierter Professor des MIT und Senior Fellow am Peterson Institute for Interna- tional Economics. Nach seinem Ph.D. am MIT wirkte er mehrere Jahre in Harvard, um 1982 ans MIT zu- rückzukehren. 1990 wurde er in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Zwischen 1998 und 2003 war Blanchard Vorsitzender der Wirtschaftswissenschaften am MIT. Er war zudem Berater der Federal Reserve Banken in Boston (seit 1995) und New York (seit 2004). Von 1997 bis 2008 saß er im französischen Rat für Wirtschaftsanalyse. Von September 2008 bis September 2015 war Blanchard Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Blanchard sprach sich Anfang 2010 mit dem Grundsatzpapier „Wirtschaftspolitik noch mal neu denken“ für eine Kursveränderung hin zu einer antizyklischen Fiskalpolitik aus, um zwangsläufig auftretende Marktinstabilitäten auszugleichen. Als Autor zahlreicher Fachbücher und aufgrund der Zahl seiner Zitierungen bei Thomson Reuters zählt er seit 2016 zu den Favoriten für den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. » Blanchard zeigte sich im Institutional Money Interview bezüglich des ›mehr oder weniger willkürlich‹ gesetzten Inflationsziels von zwei Prozent skeptisch. « » Blanchard wird von Reuters aufgrund seiner Zitierungen seit 2016 zum Kreis der Favoriten für den Wirtschafts- nobelpreis gezählt. « 44 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | IMK-Starredner FOTO: © SAMUEL CORUM | 2023 BLOOMBERG FINANCE LP „What caused the US pandemic-era inflation?“: im-online.com/BLAN124 Zum Interview mit Institutional Money: im-online.com/BLAN2124
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