Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024
Verbände „not amused“ Da die neue Direktive aber nicht nur für besonders risiko- reiche Versicherer gilt, betrachten die Versicherungsverbände die IRRD teilweise als „zu viel des Guten“, so zum Beispiel der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV): „Es besteht bereits heute mit Solvency II ein robus- ter Schutzschirm, der den Behörden umfassende Instrumen- te für ein kontrolliertes Krisenmanagement an die Hand gibt. Insofern halten wir das neue Regelwerk für einen Fall von Überregulierung“, sagt dessen Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Er präzisiert,was er meint: „Die Aufsicht ist unter Solvency II schon sehr genau über den Zustand eines Versi- cherers informiert. Je näher ein Haus an den 100er-Bereich oder darunter kommt, wird es eng überwacht: Es gibt dann verschärfte Pläne, die bis hin zur Absetzung des Vorstands reichen. Außerdem haben wir in Deutschland Auffangnetze wie Protektor oder Medicator, wenn doch mal etwas schief- gehen sollte.“Er bringt es auf den Punkt: „Uns fehlt die Idee, wo wir in Deutschland noch eine Aufsichtslücke für Versi- cherungen haben.“ Nun hofft er zumindest auf eine hand- habbare und praxistaugliche Umsetzung. Schutz der Versicherten auch so gegeben Auch der Verband der Versicherungsunternehmen Öster- reichs (VVO) hält die IRRD für übertrieben: „Angesichts der bereits bestehenden Vorschriften und Schutzmaßnah- men wie dem österreichischen Deckungsstocksystem ist aus Sicht des VVO grundsätzlich die Notwendigkeit einer derart umfassenden Regulierung zu hinterfragen“, erklärt eine VVO-Sprecherin und führt aus, warum sie den Schutz der Versicherten auch jetzt schon für ausreichend hält: „Das Deckungsstocksystem, ein engmaschiges Aufsichtsnetz, bestehende Interventionsbefugnisse für Aufsichtsbehörden, eine umfassende Kapitalausstattung der Versicherungsunter- nehmen und umfangreiche Berichtspflichten sorgen bereits jetzt dafür, dass die Erfüllung der Ansprüche der Leistungs- berechtigten stets gewährleistet ist.“ Das österreichische Sys- tem stehe für Stabilität und habe sich auch in Krisenzeiten stets bewährt. „Schließlich gibt es seit über acht Jahrzehnten weder eine Insolvenz noch eine Zahlungsunfähigkeit eines österreichischen Versicherungsunternehmens. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, im Zuge der folgenden Detailregelungen zur IRRD die bürokratischen Belastungen für Versicherungsunternehmen so gering wie möglich zu halten“, fordert die VVO-Sprecherin. Ausgeklügelte Sicherungskette In Deutschland gibt es ein weitreichendes Sicherungssystem, das Versicherungskunden umfassend schützen soll. S ollte die Übernahme eines schwächelnden Hauses einmal nicht zustande kommen, gibt es in Deutschland die Protektor Lebensversi- cherungs-AG. Diese Auffanggesellschaft wurde im November 2002 von den deutschen Versiche- rungsunternehmen gegründet und mit einer Kapitalrücklage von 240 Millionen Euro ausge- stattet. Ihr Ziel ist ähnlich wie das der Einlagen- sicherungssysteme der Banken, nämlich die Kun- den und deren angesparte Vermögen zu schüt- zen. Protektor führt im Insolvenzfall die Verträge für die Versicherungskunden fort, sodass die Leistungen für die Altersvorsorge, der Risiko- schutz sowie die unwiderruflich zugeteilten Gewinnbeteiligungen der Versicherungskunden erhalten bleiben. Der bislang einzige Rettungsfall durch Protektor war die Mannheimer Lebensver- sicherung im Jahr 2003. Mittlerweile wurde der gesamte Versicherungsbestand von Protektor an die Entis Lebensversicherung AG ausgegliedert und wird jetzt dort administriert. Neben Protektor gibt es noch den 2006 ein- gerichteten gesetzlichen Sicherungsfonds für Lebensversicherer, der durch Beiträge der Ver- sicherungswirtschaft gespeist wird. Ende 2010 hatten die Mitglieder des gesetzlichen Siche- rungsfonds das vom Gesetzgeber vorgesehene Vermögen von einem Promille der versiche- rungstechnischen Netto-Rückstellungen der Branche vollständig aufgebaut. Laut Geschäfts- bericht belief sich das bilanzielle Nettovermögen des Sicherungsfonds Ende 2022 auf 1.212,6 Millio- nen Euro. Der Sicherungsfonds wird von Protek- tor betreut und schützt Versicherungsnehmer vor den Folgen möglicher Schieflagen von Lebensversicherungsunternehmen in Deutsch- land (§§ 221–231 VAG). Auch für private Krankenversicherungen gibt es in Deutschland eine Auffangeinrichtung: die Medicator AG. „Noch nie hat eine private Kran- kenversicherung von dieser finanziellen Reißlei- ne Gebrauch machen müssen“, schreibt Kranken- versicherer Ottonova auf seiner Website. Wenn es aber doch einmal so weit kommen sollte, würde Medicator zunächst die Verträge übernehmen und die eingereichten Arzt- und Medikamenten- rechnungen bezahlen. Gleichzeitig würde Medicator dafür sorgen, „dass die Bestandskunden der abgewickelten PKV so schnell wie möglich von einer anderen Versicherung übernommen werden“, schreibt Ottonova. Vorgesehen ist also ein ähnliches Ver- fahren wie bei Protektor. Für andere Versicherungssparten gibt es in Deutschland keine Auffanggesellschaft. „Für Schaden- und Unfallversicherungsgesellschaften (SHUR) gibt es derartige Konstrukte aktuell nicht, aber auch in diesen Versicherungssparten könn- te es theoretisch – z. B. bei Ausfall eines Rück- versicherers – zu einer Zahlungsunfähigkeit kom- men“, meint Prof. Dr. Müller-Reichart vom Lehr- stuhl für Risikomanagement an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. 250 N o . 1/2024 | institutional-money.com STEUER & RECHT | IRRD Versicherungen FOTO: © ANDREAS SCHLOTE, DOMINIK BUTZMANN » Die IRRD ist notwendig, um Konsistenz in der EU herzustellen. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Aufsichts-Arbitrage. « Prof. Dr. Matthias Müller-Reichart, Lehrstuhl für Risiko- management an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden
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