Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024
Dies stellt unseres Erachtens keine Rückkehr in eine Welt dar, in der die Inflation im Euroraum wohlgemerkt größ- tenteils unter dem Ziel von zwei Prozent lag. Angesichts des immer noch angespannten Arbeitsmarktes und der gedämpf- ten Produktivität im Euroraum könnte der binnenwirt- schaftliche Kostendruck die Inflation nahe oder leicht über der Zwei-Prozent-Marke halten, wie aus den aktualisierten Prognosen der EZB hervorgeht. Daher werden die Zinsen wahrscheinlich strukturell höher sein als vor der Pandemie. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die weitere konjunkturelle Entwicklung in Europa und den USA? Ann-Katrin Petersen: Auf Europa bezogen muss man zu- nächst festhalten, dass die Wirtschaft im Euroraum bereits seit sechs Quartalen stagniert, manche Länder inklusive Deutschland befinden sich streng genommen technisch in einer erneuten Rezession. Mit dem Blick nach vorn dürfte hier das Tal der Tränen aber durchwandert werden und die Konjunktur wieder Tritt fassen. Darauf weisen zumindest die wesentlichen Konjunkturindikatoren hin. Wir gehen aber nach wie vor von einem nur gedämpften Wirtschafts- wachstum im Euroraum aus, selbst wenn sich die Konjunk- tur wieder fängt, etwa durch eine Entlastung der privaten Haushalte aufgrund der sinkenden Inflation und eine in der Folge wieder höheren realen Kaufkraft, über die sich die Ver- braucher dann wieder freuen können. Und in den USA? Ann-Katrin Petersen: Das US-Wachstum hat sich seit Länge- rem vergleichsweise robust gezeigt. Perspektivisch erwarten wir hier allerdings eine Konjunkturverlangsamung, weil es eine Reihe von Sonderfaktoren war, die dazu geführt haben, dass das US-Wachstum so überraschend robust ausgefallen ist.Dazu gehört zum einen eine lockere Finanzpolitik. Auch hier ergibt sich eine zunehmende Diskrepanz zwischen Europa und den USA.Denn in Europa sind wir inzwischen auf einen Konsolidierungspfad eingeschwenkt, und der Sta- bilitäts- und Wachstumspakt greift erstmals wieder seit vier Ausnahmejahren. In den USA bleibt die Fiskalpolitik zwar locker, aber auch hier lässt der Impuls für die Konjunktur allmählich nach. Ein weiterer Aspekt ist, dass die US-Konsu- menten ihre aufgebauten Ersparnisse in der Pandemie auf- gebraucht haben und darüber hinaus entspart haben.Daher ist auch hier ein Fragezeichen angebracht, ob der Konsum am Ende so stark bleiben kann. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Arbeitsmarkt? Ann-Katrin Petersen: Eine durchaus bedeutende. Ich würde den US-Arbeitsmarkt als angespannt bezeichnen. Arbeits- kräfte fehlen, selbst im Lichte anhaltender Nettomigrations- ströme. Auf einen Arbeitslosen kommen immer noch zirka 1,4 offene Stellen. Das ist ein geringerer Wert, als das noch vor einem Jahr der Fall war. Dennoch ist das US-Beschäfti- gungswachstum auch im Februar dynamisch ausgefallen und hat mit 275.000 neu geschaffenen Jobs positiv über- rascht. Mit Blick nach vorn rechnen unsere Makroökono- men damit, dass aufgrund des schrumpfenden Erwerbs- potenzials die US-Wirtschaft nur noch ein Beschäftigungs- wachstum von 70.000 bis 80.000 verkraften kann, ohne die Inflation anzuheizen. Zum Stichwort Inflation haben Sie eingangs bereits erläutert, warum Sie die Teuerungsraten im laufenden Jahr auf dem Weg in Richtung der Zielmarken sehen.Wie sieht Ihre Erwartung hin- sichtlich der Preisentwicklung über 2024 hinaus aus? Ann-Katrin Petersen: In dieser Hinsicht muss man davon ausgehen, dass der unterliegende Inflationsdruck insgesamt erhöht bleibt und mit Blick nach vorn im Euroraum sogar doppelt so hoch ausfallen dürfte, wie das vor der Pandemie der Fall war. Das zeigt sich insbesondere, wenn man die Preisschwankungen von Energie- und Nahrungsmitteln her- ausrechnet und stärker auf den in der Wirtschaft erzeugten Lohndruck fokussiert. In den Jahren 2010 bis 2019 lag der Inflationsdruck bei etwa einem Prozent, wodurch das EZB- Inflationsziel in diesen Jahren verfehlt wurde. Mittelfristig dürfte diese Marke wieder bei etwa zwei Prozent liegen, in den USA sogar ein wenig darüber bei etwa 2,5 Prozent. Das lässt den Schluss zu, dass die Zielmarken für die Inflation 194 N o . 1/2024 | institutional-money.com PRODUKTE & STRATEGIEN | Ann-Katrin Petersen | BlackRock FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » Ich würde den US-Arbeitsmarkt als angespannt bezeichnen. Arbeitskräfte fehlen, selbst im Lichte anhaltender Nettomigrationsströme. « Ann-Katrin Petersen, Chefstrategin bei BlackRock
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