Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024

standsfähigkeit in ihren globalen Lieferketten sorgen. Dane- ben erlebt die Industriepolitik eine Renaissance, nicht nur mittels Subventionen imHalbleiterbereich. Und schließlich kommt eben noch ein dritter Faktor hinzu: Das ist die Dekarbonisierung der Wirtschaft, anders gesagt die Transfor- mation in eine kohlenstoffärmere Welt. Auch diese wird aus ökonomischer Sicht mit höheren Kosten einhergehen, etwa in einer Übergangsphase mit höheren Energiekosten. Die Marktteilnehmer scheint das allerdings wenig zu beein- drucken, wie Sie eingangs erwähnt haben. Ann-Katrin Petersen: Auch wenn an der einen oder anderen Stelle Skepsis in Bezug auf die inzwischen an den Kapital- märkten erreichte Bewertung aufkommt, hat an den US- amerikanischen, japanischen und europäischen Aktienmärk- ten – die zusammen etwa 90 Prozent der Industrieländer- aktien abbilden – in den vergangenen Wochen ein Allzeit- hoch das vorige gejagt. Solange die Unternehmensgewinne nicht nur geliefert werden, sondern die Erwartungen der Analysten übertreffen, solange der erneute Optimismus rund um die „MegaForce“ künstliche Intelligenz weltweit anhält, solange die Wachstumsannahmen für die US-Wirt- schaft robust ausfallen und sich eine allmähliche Konjunk- turerholung im Euroraum abzeichnet, kann die Aktien- märkte aktuell dem Anschein nach wenig aus der Bahn werfen. Nicht einmal die Beobachtung, dass an den globa- len Börsen in Teilbereichen bereits recht viel an Zuversicht vorweggenommen ist. Auch nicht die Tatsache, dass das ver- gleichsweise starke US-Wachstum nicht zuletzt durch eine lockere Fiskalpolitik unterstützt wird und dass die Entwick- lung insgesamt von allerhand geopolitischen Risiken beglei- tet wird. Die Zahl der fragilen Situationen weltweit ist laut den Vereinten Nationen die höchste seit Jahrzehnten. Und wie geht es an den Anleihenmärkten weiter? Ann-Katrin Petersen: Das Tauziehen nach einer bereits voll- zogenen kräftigen Neubewertung der Zinssenkungserwar- tungen setzt sich aktuell fort. Inzwischen preist der Geld- markt nur drei Zinssenkungen der US-Notenbank um einen Viertelprozentsatz im Lauf des Jahres ein. Zu Beginn des Jahres ist man noch von sieben Schritten ausgegangen. Auf Seiten der Europäischen Zentralbank erwarten die Marktteilnehmer inzwischen lediglich vier Senkungsschritte gegenüber sechs zu Jahresbeginn. Gleichzeitig nehmen Spe- kulationen, wonach die EZB sogar noch vor der Fed die Zinsen senken könnte, zu – und das nicht ohne Grund. Was meinen Sie konkret? Ann-Katrin Petersen: Die jüngsten US-Inflationsdaten sind kräftiger als vom Konsens erwartet ausgefallen. Bei der EZB wiederum verdichteten sich die Anzeichen für eine erste Zinssenkung in den kommenden Monaten. Christine Lagarde merkte in ihrem Kommentar anlässlich der jüngs- ten Sitzung des EZB-Zentralbankrats an,man habe „gerade begonnen“, über eine „weniger straffe“Zinspolitik zu disku- tieren. Damit hat sie im Grunde den Weg geebnet für eine Zinswende bereits im Juni, wenn auch mit der einschrän- kenden Voraussetzung, dass die Daten dafür ausreichend Konfidenz bieten müssen. Unserer Auffassung nach fängt der frühe Vogel im Fall der EZB aber nicht den Wurm. Was lässt Sie zu diesem Schluss gelangen? Ann-Katrin Petersen: Zwar wurden die EZB-Projektionen für das Wirtschaftswachstum in der kürzeren Frist und insbe- sondere der Inflation nach unten korrigiert. Da der Energie- schock nachlässt und vergangene Zinserhöhungen die Kon- junktur im Euroraum unseres Erachtens stärker bremsen als diejenigen der Fed die US-Konjunktur, gehen wir jedoch da- von aus, dass die Gesamtinflation im Jahr 2024 in Richtung des Inflationsziels der EZB von zwei Prozent sinken oder sogar vorübergehend darunter fallen wird. Aber wie gesagt: N o . 1/2024 | institutional-money.com 193 Ann-Katrin Petersen | BlackRock | PRODUKTE & STRATEGIEN FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » Das Tauziehen nach einer bereits vollzogenen kräftigen Neubewertung der Zinssenkungserwartungen setzt sich aktuell fort. « Ann-Katrin Petersen, Chefstrategin bei BlackRock

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