Institutional Money, Ausgabe 1 | 2024
I n der Finanzmarktforschung gibt es viele Begriffe, die einfach und mysteriös zugleich sind. Einer davon ist die erwartete Rendite von Aktien. Würden wir wie bei Anleihen alle künftigen Cashflows kennen, könnte man ab- seits des Ausfallrisikos eine gute Schätzung vorausberechnen, was zu erwarten ist. Doch am Aktienmarkt herrscht eine andere Realität. Erwartete und tatsächlich realisierte Ren- diten liegen mitunter meilenweit auseinander. Dabei lassen sich erwartete Renditen noch nicht einmal direkt beobach- ten, sondern nur schätzen. Die Renditeerwartungen schwanken Lange gingen Finanzmarktforscher davon aus, dass erwartete Renditen am Aktienmarkt im Zeitablauf konstant sind. Das schreibt Antti Ilmanen im Beitrag „A Historical Perspective on Time-Varying Expected Returns“ (veröffentlicht in der Publikation „Financial Market History“ des CFA Instituts). Um möglichst aussagekräftige Schätzungen über die Höhe dieser zu erwartenden Renditen zu erhalten, nutzte man lange Zeitreihen historischer Renditen. Schwankungen der Marktbewertungen wurden dabei durch entsprechende Veränderungen der Wachstumserwartungen erklärt. Viele Praktiker sahen diese Annahmen skeptisch. Denn was sagt eine erwartete Rendite, die auf Basis einer Kurs- historie von 50 oder mehr Jahren ermittelt wurde, über die nächsten zwölf Monate aus? Nicht gerade viel. Auch unter Akademikern drehte seit der Jahrtausendwende der Wind. In der Forschung ging man nun zunehmend davon aus, dass erwartete Renditen am Aktienmarkt im Zeitablauf schwanken. Dafür gibt es drei gute Argumente: Zum einen schwanken wichtige Rahmenbedingungen wie Inflations- raten, Geldmarktrenditen und Anleihenkurse ebenfalls fort- laufend.Wenn überhaupt, sollte deshalb nur von konstanten Aktienrisikoprämien ausgegangen werden, nicht von kon- stanten erwarteten Gesamtrenditen. Zum anderen verändert sich die Risikowahrnehmung der Anleger im Zeitablauf. Je nachdem, ob sie gerade risikoavers oder risikofreudig sind, fallen die von ihnen rational erwarteten Renditen höher oder niedriger aus. Zum Dritten tragen irrationale, ver- haltensbasierte Effekte dazu bei, diese Tendenzen noch zu verstärken. Das kann Phasen sehr niedriger beziehungsweise sehr hoher erwarteter Renditen verursachen. Implizite Renditeerwartungen Eine entscheidende Frage ist nun, wie Anleger die Variation der erwarteten Renditen im Vorfeld wahrnehmen. Das be- inhaltet die Einschätzung der aktuellen Aktienrisikoprämie und deren potenzielle künftige Entwicklung beziehungs- weise Höhe. Die drei Kapitalmarktforscher Mihir Gandhi, Niels JoachimGormsen (beide University of Chicago, Booth School of Business) und Eben Lazarus (University of Cali- fornia in Berkeley,Haas School of Business) untersuchen das Thema im Paper „Forward Return Expectations“ genauer. Dabei blickten die Forscher gewissermaßen in die Zu- kunft. Sie untersuchten, welche künftigen Aktienrisikoprä- mien von Anlegern zu einem bestimmten Zeitpunkt erwar- tet wurden. Dazu analysierten sie Optionspreise, in denen die Erwartungen der Anleger eingepreist sind, sowie Daten aus zwei bekannten Umfragen. Die Stichprobe der Optio- nen bezog sich auf 20 globale Aktienindizes im Zeitraum von 1990 bis 2021.Daraus schätzten die Autoren die Aktien- risikoprämien für verschiedene Zeithorizonte mittels eines speziellen Maßes, das dem VIX ähnelt. Die Differenz aus langfristigen und kurzfristigen impliziten Volatilitäten appro- ximierte dabei die künftig erwarteten Renditen. Auf diese Weise konstruierte das Autorentrio die Annahmen der Anleger über ihre eigenen kurzfristigen Erwartungen in der Zukunft (Forward Return Expectations beziehungsweise Eine Studie untersucht, wie Anleger ihre eigenen kurzfristigen Erwartungen in der Zukunft einschätzen. Dabei decken die Forscher einen interessanten Effekt auf, der vorhersehbare Prognosefehler beinhaltet. Vorhersehbare Fehlprognosen 150 N o . 1/2024 | institutional-money.com THEORIE & PRAXIS | Erwartete Renditen FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH » Nach Rezessionen und Finanzkrisen sollte die Aktienrisikoprämie höher sein. « Antti Ilmanen, A Historical Perspective on Time-Varying Expected Returns, in: Financial Market History (2016), CFA Institut
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